Der Geist des Westwindes, der Kobold und das Pferd

(Nordamerikanische Indianer)

Vor undenklichen Zeiten erstreckte sich so weit das Auge reichte nur eine trostlose Wüste über die Erde. Hin und wieder ragten kahle Felsen zum Himmel auf. In dieser Einöde langweilte sich der Geist des Westwindes und sehnte sich nach Gesellschaft. So sog er seine Lungen voll Luft und als er sich ausblies, saßen zwei Menschen bei ihm am Feuer. Er nannte sie Atam und Im. Tag für Tag traf er sich mit ihnen, lehrte sie alles, was sie wissen mussten und unterhielt sich des abends mit ihnen am Feuer.
Unweit ihres Lagers hauste in einer Felsspalte ein Kobold. Es ging ihm ebenso wie dem Geist des Westwindes. Er langweilte sich den ganzen Tag und so sann er auf ein wenig Abwechslung. Eines Tages formte er aus Meerschaum ein prächtiges weißes Pferd. Es sah schon aus wie die Pferde, die auch heute noch über die Prärie ziehen, doch fehlte ihm der Schweif und die Mähne.
Als Atam und Im das prächtige Tier erblickten staunten sie: „Sieh nur, es ist weiß. Das kann niemand anderes sein als der Große Häuptling“, flüsterte Im.
„Nein, es ist das prächtigste Geschöpf, das ich je gesehen habe, aber es ist nicht der Große Häuptling“, widersprach Atam. Das Pferd indes hielt vor den Menschen. Atam blickte ihm in die Augen und sah darin die Sterne leuchten. Je länger er es ansah, umso beeindruckter war er und stimmte Im schließlich zu: „Du hast recht, es ist der Große Häuptling.“

Da schritt auf dem Regenbogen der Geist des Westwindes zur Erde herab und warnte die Menschen: „Tretet ihm nicht zu nahe. Es ist ein Zauber des Kobolds und wird euch zertrampeln.“ Er selbst trat auf das Tier zu und betrachtete es lange. Schließlich sprach er: „Du bist nun einmal auf der Erde und wir können dich nicht wieder davonjagen. Du wirst dem Menschen dienen, ihm Freund und Diener sein.“
Als der Kobold seine Pläne zu vereitelt war, wurde er wütend. Er schickte eine Bremse, die sich dem Pferd auf den Rücken setzte und es quälte.
„Gibst du keine Ruhe?! Na warte!“, schimpfte der Geist es Westwindes. Er riss eine Handvoll Riedgras aus dem Boden und setzte daraus dem Pferd einen Schweif an. „Damit kannst du die Bremsen verjagen“, sprach er zum Pferd. Tatsächlich scheuchte das Pferd mit dem Schweif die Bremse auf, doch sie setzte sich ihm in den Nacken, wohin der Schweif nicht reichte. Da riss der Geist des Westwindes noch einmal eine Handvoll Gras aus dem Wüstenboden und steckte dem Pferd eine Mähne in den Nacken.
„Nun weide dich satt und dann diene dem Menschen wie ich es dir befohlen habe.“

Seit dieser Zeit ist das Pferd der Freund und Begleiter der Menschen.

© 2008 Bettina Klamann